Habe ich den Titel wirklich gewählt? Das hätte ich mir vor 20 Jahren nicht vorstellen können. Im Business war das Wort Liebe kein Begriff, den ich in irgendeinem Kontext verwendet hätte. Selbst privat war es ja schon schwierig für mich.
Es ist auch viel zu wichtig, um diesen Begriff inflationär zu verwenden. Und dieser Blog-Beitrag soll mein einziger bleiben, der ganz persönliches von mir Preis gibt. Eine Art Lebenslauf der anderen Art. Also diesmal keine Werbung, keine fachlichen Erläuterungen und ich würde sehr gut verstehen, wenn Du an dieser Stelle weiter klickst.
Inspiriert hat mich ein Steady News Blog-Beitrag von Eva Ihnenfeldt, in dem sie ihr Jahr 2014 sehr persönlich und offen schildert. Menschlich halt, ohne Verschönigungen. Eva, danke dafür.
Ja Liebe spielte im Business für mich doch eine Rolle, auch wenn es sich vielleicht manchmal auf die Selbstverliebtheit als Manager beschränkte. Es gab in meiner beruflichen Laufbahn so einige Liebschaften. Meine Frau, mit der ich fast vierzig Jahre zusammen lebe, kennt diese Liebschaften und musste viel gemeinsame Lebenszeit deswegen entbehren.
Die Liebe zu Computern
Es muss so 1980 gewesen sein. Das war die Zeit, als Steve Jobs mit seinem Apple-Computer begann Geschichte zu schreiben. Ich studierte Wirtschaftswissenschaften, mit dem Ziel Wirtschaftsprüfer zu werden. Mein Studienkollege Martin lud mich zu sich nach Hause ein. Und dann passierte es. Er zeigte mir seinen Computer. Eher eine Art dicke Tastatur mit einem Fernseher dran. Ich glaube, es war ein Commodore 64. Es war Liebe auf den ersten Blick. Eine Liebe, die mich aus der Bahn warf. Es war klar, dass ich mich nun der Informatik widmen wollte, um den Rest meines Lebens mit dieser Liebe zu teilen.
Die Liebe zu Zahlen
Ich begann sofort an zu programmieren. Denn die Computer konnten zu dieser Zeit nichts, aber auch rein gar nichts. Alles musste man Ihnen beibringen.
Ich hatte die Ambition, dem Computer mathematische Fähigkeiten zu vermitteln und schrieb mathematsche Software. Ich, der Mathe nach der Klasse 12 abgewählt hatte und mich so gar nicht damit anfreunden konnte. |
Wie sagte schon der Schriftsteller Antoine de Saint-Exupery?
„Wenn Du ein Schiff bauen willst, dann trommle nicht Männer zusammen um Holz zu beschaffen, Aufgaben zu vergeben und die Arbeit einzuteilen, sondern lehre die Männer die Sehnsucht nach dem weiten, endlosen Meer“.
Meine Sehnsucht war, dem Computer all dieses mathematische Zeug beizubringen. Schon schräg, oder? Autodidaktisch ist mir nun das gelungen, was mir in der Schule trotz Lehrer nie gelang. Ich verstand die Mathematik und entwickelte eine hohe Affinität zu ihr, die heute noch besteht.
Die Affinität galt aber auch dem Umgang mit Zahlen. Daher wurde ich Controller und entwickelte Software für Controlling-Systeme. Controlling war es auch, was dann den Schwerpunkt meiner ersten Berufsjahre ausmachte.
Die Liebe zu Prozessen
Zahlen im Business sind aber ja nur Ergebnisse von Prozessen. Als ich die Zahlen nun als Manager zu verantworten hatte, fiel der Blick auf die Geschäftsprozesse. Sie sollten sich hinsichtlich Effektivität und Effizienz stets verbessern, damit auch die Zahlen besser würden. Qualitätsmanagement und Prozessmanagement standen im Mittelpunkt meiner Arbeit. Aber es dauerte nicht lange bis klar wurde, dass die Qualität von Prozessen von dem Wissen und den Kompetenzen der Mitarbeiter bestimmt wird.
Die Liebe zu Wissen und Innovationen
Als Controller und Informatiker hatte ich schon ein Faible für Informationssysteme. Information ist aber kein Wissen. Wissen ist in Köpfen von Menschen. Ich begann zunehmend den Blick auf den Menschen zu bekommen. Zumindest auf einen Teil davon, dem Kopf. Irgendwie schon komisch. 1999 begann meine „Wissensmanager-Karriere“.
Ich gründete mit meinem Arbeitgeber drei Jahre später die think!tank Gesellschaft für Zukunftsgestaltung mbH und entwarf ein Firmen-Logo. Ich muss heute darüber schmunzeln, es war etwas kopflastig. Eine Abbildung eines Kopfes mit sichtbarem Gehirn. Es ging um vernetztes und systemisches Denken. Mit Computern haben wir Modelle bis zur Simulationsreife entwickelt, na ja ist halt menschlich. Dazu kamen betriebliche Konzepte, wie in Organisationen Wissen bewertet, entwickelt und gesichert werden kann. |
Die Liebe zu den Mitarbeitern
Mittlerweile standen also für mich die Mitarbeiter im Mittelpunkt, naja zumindest ihre Köpfe. Eine virtuelle Kollaborationsplattform ermöglichte hohe Transparenz, einen verbesserten Wissenstransfer und gute Möglichkeiten, dass Mitarbeiter sich an der Gestaltung der Unternehmenszukunft beteiligen konnten. Wohlgemerkt, das bereits vor 13 Jahren. Die Mitarbeiter haben einen verdammt guten Job gemacht. Wir waren Vorzeigeunternehmen und erhielten viele Auszeichnungen. Im Grunde lieferten auch die Mitarbeiterbefragungen gute und steigende Ergebnisse bezüglich deren Zufriedenheit. Und doch, Luft nach oben gibt es immer, oder?
Natürlich interessierte mich auch, was wir tun könnten, um die Gesundheit der Mitarbeiter zu schützen. Wir nahmen an einem Projekt teil und führten eine weitere Befragung durch, die nicht so gute Ergebnisse lieferte, wie ich es erwartet hatte. Ich bat einen externen Berater in einer zweiten Runde Einzel-Interviews zu führen und mir die Ergebnisse anonymisiert und verdichtet zu geben. Ein Satz daraus hat sich bis heute eingeprägt.
„Wenn die Geschäftsleitung zwischen Prozess und Mitarbeiter entscheiden müsste, dann würde ich das Ergebnis gerne wissen“.
Was? Zwischen Mensch und Prozess entscheiden? In mir ist in diesem Moment ein Weltbild zusammengebrochen. Mir schien nun so klar, dass mich die Liebe zu Geschäftsprozessen blind gemacht hat. Blind für die Gefühle und das Empfinden der Mitarbeiter. Warum bedurfte es einer anonymen Befragung? Wir hatten doch so ein offenes und gutes Verhältnis. Hatte ich das Exzellente Unternehmen zur empathiefreien Zone erklärt?
Warum fiel es mir so schwer zu verstehen, dass Mitarbeiter sich in den Standardisierungsbemühungen nicht wiederfanden. Sich eingeengt fühlten. Sie sahen doch die positive Ergebnisentwicklung.
Ich dachte daran, den Job zu schmeißen. Meine Mitarbeiter von mir zu befreien. Genau 5 Minuten lang. Schließlich war ich es, der die Befragung wollte und die einzige Führungskraft, die das Ergebnis hinterfragen wollte. Und schließlich bin ich der lebenslang Lernende, der Innovator und Pionier. Wenn nicht ich was ändere, wer dann. Aber wie? Empathie kann man nicht lernen, nur entwickeln. Aber wie lerne ich es, sie zu entwickeln?
Ich habe einiges gelernt, entscheidend wirksam glaube ich, war das Achtsamkeitstraining nach Kabat Zinn und die Gedanken von Marshall Rosenberg bei seinem Konzept zur gewaltfreien Kommunikation. Ich weiß noch wie ich scherzhaft zu meinem Mitarbeitern sagte „Ab morgen lobe ich nicht mehr, denn ich habe gelernt, Loben sei Gewalt“ und ihnen dann erklärte was Rosenberg damit meinte. Später konnten auch Mitarbeiter entsprechende Seminare auf Firmenkosten besuchen, wenn sie es wollten. Eine Yogamatte bereicherte mein Büro. Dann ging zur Mittagszeit die Tür, die sonst meist offen stand, für 30 Minuten zu.
Der Mensch besteht seitdem für mich nicht mehr nur aus einem Kopf.
An dieser Stelle muss ich sagen, dass ehemalige Mitarbeiter mit denen ich im Nachhinein darüber gesprochen habe, mir sowohl hohe Empathie zusprachen als auch die Zusammenarbeit als angenehm schilderten. Und zwar auch bereits in der Zeit vor der Befragung. Möglicherweise habe ich den einen mir eingeprägten Satz völlig überinterpretiert. Vor kurzen erzählte mir der Berater, es seien seine eigenen Worte gewesen, eine Zusammenfassung aus seiner Sicht. Vielleicht brauchte ich aber nur einen Grund, um einfach den nächsten Schritt in meiner ganz persönlichen Entwicklung zu gehen.
Jetzt hatte ich über die vielen Jahre mit meinen Liebschaften so viele Kompetenzen entwickeln und Erfolge erzielen können und hatte nun den nächsten Schritt vor mir. Das war, eine Führungskultur im Unternehmen zu entwickeln, die den Mitarbeiter wirklich in den Mittelpunkt stellt. Das stand ja nun schon fast 20 Jahre in den Leitsätzen des Unternehmens. 1990 war ich als Controller und Organisationsentwickler angetreten. Ich sollte das Unternehmen zu einem leistungsfähigen Unternehmen mit „Wir-Gefühl“ entwickeln. Offensichtlich hatte ich damals schon den Eindruck vermittelt, dass ich das könnte. “Wir-Gefühl? Da machen wir nicht mit“, sagten die zwei wichtigsten Prokuristen im Unternehmen. Es hatte trotzdem geklappt. 2007 schwärmte der Unternehmer vom besten Jahresergebnis der Firmengeschichte, zumindest der für ihn überblickbaren Zeit seit 1959. Es war das sechste Jahr hintereinander, in dem das gleiche Mitarbeiterteam den Ertrag um mehr als 20% steigerte. Gutes Bankenrating, weitere Innovationspreise und die erneute Auszeichnung als exzellentes Vorzeigeunternehmen machten nicht nur den Unternehmer stolz. Das war etwa Zeitgleich mit der beschriebenen Mitarbeiterbefragung.
Ich habe meine Lieben alle nicht aufgegeben. Ein Teil von mir ist noch Controller, Informatiker, Prozessmanager und Wissens- und Innovationsmanager. Aber es ist etwas dazu gekommen.
Auf seiner Rede zu seinem 70. Geburtstag sagte Charly Chaplin folgendes:
“Als ich mich zu lieben begann, da erkannte ich, dass mich mein Denken armselig und krank machen kann. Als ich jedoch meine Herzenskräfte anforderte, bekam der Verstand einen wichtigen Partner.
Diese Verbindung nenne ich heute HERZENSWEISHEIT.“
So empfinde ich es auch. Verstand und Herz sollen in einer modernen Arbeitswelt Hand in Hand gehen. Mitarbeiter sind keine Maschinen, es sind Menschen. Führung darf nur menschlich sein.
Und wie war die Realität? Nun ich hatte ganz viel Gegenwind bekommen. Gegenwind, der mir Kraft, Gesundheit und letztlich meinen Job genommen hat. Die Ironie des Schicksals: ein Wirtschaftsprüfer und Unternehmensberater hat da ganz schön mitgemischt.
Als ich zwei Wochen arbeitsunfähig geschrieben war und es mich schon nach einer Woche wieder ins Büro trieb, belegte ein Mann mein Büro. Ein Interimsmanager, den der Berater schnell positioniert hatte. Man eröffnete mir, dass ich mir mit meiner Gesundung Zeit lassen könnte. Später sagte jemand „Aufgestanden Platz vergangen“. Nach draußen wurde mein Ausscheiden mit gesundheitlichen Problemen begründet. Ganz diskret natürlich. Na ja irgendwie stimmte das ja auch. Spitzen-Voraussetzung, um im Arbeitsleben als 50+ wieder Fuß zu fassen. Mit der Trennung kam auch meine Gesundheit wieder und hat mich bis heute nicht verlassen. Das was mich krank machte habe ich zurückgelassen und mir ist klar was es war.
Mitarbeiter berichteten mir dann von den Mobbingattacken und der negativen Energie, die nach meinem Ausscheiden im Unternehmen herrschte. Jeder Mitarbeiter, der in Augen des Beraters keine wertvolle Arbeit machte, wurde letztlich entlassen. Und das waren fast alle. Immerhin brauchten die verbliebenen Experten nach meinem Ausscheiden nur drei Jahre, bis das Unternehmen nach 114 jähriger Firmengeschichte insolvent wurde. Ich habe großes Verständnis, wenn einige etwas gegen Unternehmensberater haben, wirklich.
Das Positive: Ich konnte in dieser Zeit erfahren was Empathiefreiheit bedeutet. Wie es ist, wenn nur noch Zahlen und Paragraphen eine Rolle spielen. Das hat noch nie etwas mit mir zu tun gehabt. Oder doch? Na immerhin habe ich auch Mitarbeiter entlassen oder darauf Einfluss genommen. Ich erinnere mich, dass ich manchmal so fertig war, dass ich mir danach frei genommen hatte. Sicher war es meiner Rolle und Verantwortung geschuldet und notwendig. Vorbei ist vorbei.
Und nun bin ich selbst Unternehmensberater, komme mit all meinen Lieben im Gepäck in Unternehmen, um zu unterstützen. Ich nenne mich auch Unternehmensberater, obwohl meine Haltung das Geben von Ratschlägen eigentlich ausschließt. Ich habe aber auch keine Lust wirklich über diesen Beruf oder alternative Bezeichnungen zu schreiben. Mein Verhalten zeigt meine Haltung, und die ist für mich entscheidend. Im Privaten und im Beruf. Meine heutige Haltung ist leider ein Entwicklungs(zwischen)ergebnis, für das ich lange gebraucht habe. Aber es ist gut, dass es überhaupt passierte.
Und nun widme ich mich seit Jahren einer neuen Arbeitswelt. Einer Arbeitswelt mit einer Neuen Qualität. Einer Arbeitswelt, in der man sich mit Respekt und Wertschätzung auf Augenhöhe begegnet. Ich setze mich für Menschen aller Generationen ein. Für Rahmenbedingungen, die uns auch bis ins Alter gesund und arbeitsfähig halten. Für die Jungen, dass sie auch ihre Werte in der Arbeitswelt leben können und nicht mit Praktikantenverträgen abgespeist werden. Und für die mittleren Alters, dass sie im Einklang von Familie und Beruf so arbeiten können, dass sie nicht ausbrennen. Den Unternehmen helfe ich, auch in Zeiten des demografischen Wandels Fachkräfte zu bekommen und Kompetenzen und Wissen in Unternehmen zu entwickeln. Das Arbeits-Modell Hamsterrad ist ein Auslaufmodell. Eine Leistungsgesellschaft kann nachhaltig nur überleben, wenn sie auch eine Wertschätzungsgesellschaft ist. Dafür stehe ich. Die allermeisten Menschen, die ich kennen lerne, wollen gute und effektive Arbeit leisten. Und sie würden dies auch, wenn sie die Rahmenbedingungen dafür bekommen.
Ja das Spannungsfeld zwischen ökonomischen, ökologischen und sozialen Zielen inspiriert mich. Schließlich möchte ich, dass sich meine Lieben auch untereinander verstehen. Über meine Liebe zur Umwelt schreibe ich jetzt nicht mehr.
Warum beschäftigt sich ein Informatiker, Controller, Prozessmanager und Wissensmanager mit den Themen soziale Führung und kollaborationsfördernde Arbeitswelten? Ich hoffe mein sehr persönlicher Beitrag hat dies deutlich gemacht.
Auch, dass es nicht nur Verstandessache ist. Ich bin mit dem ganzen Herzen dabei, und so soll es sein. Meine kognitive Intelligenz sagt mir, dass es Herzensintelligenz und moralische Intelligenz sein werden, die uns Menschen weiterbringen. Vom IQ zum WeQ, von der Identity zur Wedentity.
Und ich habe in diesem Zusammenhang auch einen Vorsatz für die Zukunft.
Ich möchte das Wort Liebe nie mehr verwenden im Zusammenhang mit Dingen, sondern nur noch mit Menschen, Tieren und der Natur.
Danke fürs Lesen
Euer Rainer Weichbrodt
PS Fachbeiträge zur neuen Arbeitswelt kommen später